Die heutige Etappe sollte uns mehr als 300 Kilometer über den Kazinga-Kanal im Queen Elizabeth Nationalpark nach Süden an die Grenze zu Ruanda führen. Ohne die technischen Probleme der vorhergehenden Tage kamen wir als Gruppe gut voran. Ich hängte mich wie schon in Kolumbien gerne hinter den Tourenführer, denn er gab in den Kurven eine gute Linie vor und ich lerne immer gerne dazu. Bei Kagamba mussten wir links abbiegen, doch stattdessen drehten wir wieder um. Doch ich hatte über mehrere Dutzend Kilometer keine Abzweigung gesehen, an der wir uns verfahren haben konnten. Dass wir so lange in die falsche Richtung gefahren sein sollten, ohne, dass das Navi das deutlich angezeigt hätte, war ebenfalls nicht vorstellbar.
Kurz hinter dem Dorf Kitagata war einer meiner Mitfahrer verunfallt. Bis wir an der Unfallstelle eintrafen, war unklar, wenn es getroffen hatte. Als wir dort eintrafen waren die Spuren des Unfalls deutlich zu sehen. Chuck aus Texas war aus der Kurve geflogen, frontal in die ausnahmsweise vorhandene Leitplanke eingeschlagen und dann gut dreißig Meter unter seinem Motorrad eingeklemmt über den Schotter auf den Asphalt der Straße gerutscht und dort benommen liegen geblieben. Das Begleitfahrzeug hatte ihn bereits befreit und in das nächstgelegene Krankenhaus gefahren. Ich sah nur die Kratzer auf der Straße und das mitgenommene Motorrad. Dem Vernehmen nach hatte Chuck eine schwere Verletzung an der linken Hand davongetragen, als die schwere 1150er ein langes Stück darauf gerutscht war. Teile der Hand waren offenbar abgerissen und auch die Schulter sollte verletzt sein. Uns blieb nichts anderes übrig als zunächst an der Unfallstelle zu warten. Nach zwei Stunden entschied Steven aus Utah, der zu Hause in der Notaufnahme eines Krankenhauses arbeitet, die fünf Kilometer nach Kitagata zu fahren und sich ein Bild zu machen. Mit zwei anderen fuhren wir hinab ins Tal. Das Krankenhaus ist war nur über einen buckeligen Weg aus festgefahrener, teilweise matschiger Erde zu erreichen. Als wir in der Klinik ankamen, saß Chuck in einem Rollstuhl, der Daumen der rechten Hand war verbunden, seine Jacke ziemlich zerrissen. Steven tastete ihn mit einem oberflächlichen Bodycheck ab.
Ein genaueres Bild konnten wir uns nicht machen, denn das Krankenhaus hatte keinen Strom für das Röntgengerät. Ich bat eine Krankenschwester mir den Weg zur Toilette zu zeigen. Sie führte mich in auf die Geburtsstation und dort in einen Raum mit Toilette und einem leeren Fass, worin wohl das Wasser zum Spülen und Händewaschen vorgehalten wurde. Es war leer und aus dem Hahn kam auch keines. Ein Krankenhaus ohne Strom und Wasser waren schlechte Voraussetzungen, um den offenen Bruch an Chucks Hand zu versorgen und die nötige Gewebetransplantation vorzunehmen, die nötig sein würde. Hier drohte ihm die Amputation. Weil Chuck gut versichert war, gelang es, einen Evakuierungsflug mit einem Hubschrauber in Ugandas Hauptstadt Kampala zu organisieren. Ich hielt es nicht für möglich, von der Grenze des Kongo auf eine andere Weise wegzukommen als mit einer stundenlangen Fahrt im Krankenwagen.
Doch nur dreieinhalb Stunden, nachdem Chuck gestürzt war, landete auf dem Grasland nahe dem Krankenhaus ein MEDEVAC-Hubschrauber. Tausende Menschen waren herbeigeströmt, denn sie hatten noch nie einen echten Hubschrauber gesehen. Nach der Landung war der Pilot mit einem langen Knüppel bemüht, die Publikumsmassen auf Abstand zu halten, denn jeder wollte das Luftfahrzeug berühren. Als Chuck eingestiegen war und sich der Helikopter in den Himmel schraubte, gab es für die Schaulustigen kein Halten mehr. Sie strömten an die Stelle, wo der Hubschrauber gestanden hatte und begannendas Gras auszureißen. Medizinmänner würden daraus Heilmittel herstellen, erzählte man mir am Abend. Ich sah das Spektakel leider nicht mit eigenen Augen, denn wir mussten weiterfahren, um am Abend noch rechtzeitig unser Tagesziel Kisoro im Länderdreieck Uganda, Ruanda und Kongo zu erreichen. Noch hatten wir über 150 Kilometer auf den kurvigen Bergstraßen vor uns. Obwohl die Mittagszeit schon wieder weit hinter uns lag, erreichten wir vor Sonnenuntergang nach einer herrlichen Kurverei mit wunderbarem, afrikanischem Bergpanorama die kleine Universitätsstadt mit 12.000 Einwohnern.