Die Piste hinaus aus dem Mburo Nationalpark

Moto Safari Uganda - Delirium

Die Nacht im Zelt war ein Segen. Mückenfrei und erholsam. Den nächtlichen Gang nach draußen zur Toilette beging ich im dezenten Rotlicht der Stirnlampe. Angezogen vom LED-Strahler, mit dem ich den Außenbereich vollständig hätte beleuchten können, wären mir zahlreiche ungebetene Gäste unter mein Mosquitonetz gefolgt. Obwohl ich früh zu Bett gegangen war und dort erholsam geruht hatte, fühlte ich eine Erkältung an Schwere gewinnen. Schon am Abend hatten die Nasennebenhöhlen unablässig begonnen zu tropfen wie ein Wasserhahn. Jonathan und sein Sohn waren bereits vorgestern Abend am Bunyonyi-See von den gleichen Anzeichen betroffen gewesen. Es handelte sich also nicht um eine persönliche Befindlichkeit allein meinerseits, sondern wir waren gemeinsam einem Schnupfen-Virus begegnet, das mit unseren herabgesetzten Abwehrkräften spielend fertig geworden war. Vielleicht war es nach dem Covid-19-Virus schon gleich die nächste Zoonose gewesen, die die anderen neulich von ihrem Besuch bei den Schimpansen oder Gorillas mitgebracht hatten. Nun hatte ich also einen Affen-Schnupfen. Ich trat der laufenden Nase als zermürbendstem Symptom mit Papierkügelchen entgegen. Damit setzte ich die Nasenlöcher dicht und hatte vor dem stetigen Rinnsal Ruhe. Eine Praktik, die meine Mitverschnupften zunächst belächelten und wenig später übernahmen.

Denn auch heute mussten wir uns fahrbereit machen und die letzte Etappe zurück auf die Nordhalbkugel und nach Kampala bewältigen. Die ersten 17 Kilometer führten zurück über die gestrige Schotterpiste aus dem Nationalpark heraus auf die Hauptstraße. Noch einmal mussten die gelegentlichen Schlammlöcher durch Dickicht umfahren werden und dieses Mal kostete mich das letzte tückische Sandfeld fast meine Unversehrtheit. Ich bestand diese Prüfung trotz meines herabgesetzten Allgemeinzustandes. Dafür verlangte mir Ali, der Fahrer unseres Begleitfahrzeugs, angesichts meiner Erkältung das Zugeständnis ab, dass ich selbst nur noch bis zum Äquator führe und dann in das SUV umsteigen sollte. Die Niesattacken machten ein Weiterfahren tatsächlich nicht mehr nur unbequem, sondern auch riskant. Bei zunehmender Hitze stand uns außerdem der nachmittägliche Verkehrsstau in Kampala bevor. Als wir vor einer gefühlten Ewigkeit (tatsächlich war es vor nur einer Woche gewesen) aus der ugandischen Hauptstadt aufgebrochen waren, hatten wir die Rush-Hour erfolgreich vermieden. Nun mussten wir durch.

Mein Schnupfen und ich allein unter dem Helm
Mein Schnupfen und ich allein unter dem Helm

Angekommen am nullten Breitengrad ging es mir deutlich schlechter. Das Niesen wollte kein Ende nehmen, die Augen tränten und in den Nebenhöhlen waren alle Dämme gebrochen. So fährt man kein Motorrad mehr. In einem kleinen Café auf der Äquatorlinie kauften wir die gesamten Kuchenbestände auf, tranken Kaffee und Cola. Dann sattelten die anderen auf und ich kletterte in den Subaru. Bevor Ali den Motor anließ, war ich eingeschlafen, bekam nichts von der Fahrt mit und auch als ich später aufwachte hielt ich die Augen meist geschlossen und verblieb im selbstgewählten Delirium. Die ebenfalls kranke Diana klemmte schon seit Fahrtbeginn regungslos zwischen dem Gepäck auf der Rückbank und gab keinen Ton von sich. Der Verkehr war so dicht, dass unsere Motorradfahrer entschieden, von der Einfallstraße nach Kampala abzufahren und ihr Glück ein letztes Mal offroad zu suchen. Sie fanden es und kamen sogar noch vor uns im Geländewagen an. Im Hotelzimmer fiel ich sofort aufs Bett und war für mehrere Stunden ausgeknockt.

Abends setzten wir uns zu einem letzten gemeinsamen Abendessen auf der Terrasse des Hotels zusammen. Auch der verunfallte Chuck war da. Der Daumen war noch dran und sein Eigentümer hörte nicht auf, sich bei uns für die entstandenen Umstände zu entschuldigen. Die Ärzte in Kampala hatten den offenen Bruch mit einem Metallstab fixiert. Der Verband war so dick wie Chucks Arm und musste täglich gewechselt werden. Chuck würde mit den anderen noch weiter nach Dubai fliegen, von dort dann aber zurück in die USA reisen, wo eine Hauttransplantation vorgenommen werden musste, um die beim Sturz abgerissen Gewebeteile zu ersetzen. Auch seine Schulter hatte gelitten und eine alte Verletzung wieder in den Vordergrund treten lassen, so dass auch hier weitere langwierige Behandlungen notwendig werden würden.
Von den Teammitgliedern, die schon in der Frühe am nächsten Morgen abreisen würden, musste ich mich nun trotz meines umnebelten Zustandes verabschieden. Gerne hätte ich mit allen von ihnen noch gemeinsam etwas unternommen und ein bisschen länger gesprochen. Aber eine Motorrad-Abenteuerreise durch eine abgelegene Weltgegend ist nun mal keine Cocktail-Party, auf der Small-Talk und gegenseitiges Kennenlernen im Vordergrund stehen. Also stopfte ich ersatzweise alles in mich hinein, was die Dinner-Gutscheine des Hotels hergaben und dann wieder meine Papierkügelchen in die Nasenlöcher. Unser letztes vollständiges Beisammensein löste sich bald auf und so schlich ich auf mein Zimmer, nieste dort noch eine Weile leise vor mich und begab mich wieder in mein heilendes Schnupfen-Delirium.